Emmanuel Macron - Die Biographie by Anne Fulda
Autor:Anne Fulda
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Aufbau Digital
veröffentlicht: 2017-06-14T16:00:00+00:00
Verführungskünste
»Ich will Präsident werden. Und ich habe euch verstanden. Ich liebe euch.« Am 18. Februar 2017, in einem halbleeren Konferenzsaal in Toulon, kam klar und deutlich ans Licht, was Emmanuel Macron in seinem tiefsten Inneren antreibt. Am Ende einer turbulenten Woche schien der unaufhaltsame Aufstieg des Vorsitzenden von En Marche! abrupt gestoppt. Auf einen wochenlangen Höhenflug folgte die Rückkehr in die Niederungen der Realität.
Was hatte zu dieser Ernüchterung geführt? Zunächst ein Interview mit dem algerischen Fernsehsender Echorouk News vom 14. Februar 2017, in dem Macron die Kolonialisierung als »ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit« bezeichnet hatte, als »wahrhaft barbarischen Akt«. Sodann sein Bedauern, dass die Gegner der Ehe unter Gleichgeschlechtlichen »gedemütigt« worden seien (in einem Interview mit L’Obs vom 16. Februar 2017). Zwei Äußerungen, die für Empörung sorgten, im linken wie im rechten Lager.
Beides nicht völlig aus der Luft gegriffen, könnte man sagen. Doch die Aussage über die Kolonialisierung – unverkennbar mit Blick auf die Vororte und die Wähler maghrebinischer Abstammung getroffen – kam zum denkbar unglücklichsten Zeitpunkt und sorgte verständlicherweise für Irritationen. Welche unentschuldbaren und nicht wiedergutzumachenden Verbrechen im Rahmen der französischen Kolonialpolitik auch begangen wurden – die Kolonialisierung als Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu bezeichnen und damit etwa mit der systematischen Auslöschung eines ganzen Volkes gleichzusetzen, ist historisch weder zutreffend noch akzeptabel. Außerdem steht diese Einschätzung in diametralem Gegensatz zu dem, was Macron einige Monate zuvor im Magazin Le Point behauptet hatte, nämlich dass die Kolonialisierung »auch zivilisatorische Elemente« gehabt habe. Nun gut. Doch als ein Freund ihm zu verstehen gibt, dass diese Äußerung ausgesprochen dumm gewesen sei, entgegnet Macron, auch ihm habe sie schlaflose Nächte bereitet. Er verwahrt sich dagegen, diese Worte nur »aus Kalkül« gesagt zu haben und beteuert, sich schon zuvor in diesem Sinne geäußert zu haben, und hält fest: »Das Leiden anzuerkennen, das Teil einer jeden Erinnerung ist, bedeutet nicht, diese Erinnerung zu schmälern.«63 Auch wenn Macron betont, dass es »bisweilen der Versöhnung bedarf, wenn man voranschreiten will«, auch wenn er daran erinnert, dass er als Minister oftmals konfrontativ war (»Als ich vor die Industrie- und Handelskammer getreten bin, sind die Delegierten aufgestanden und haben mir zehn Minuten lang den Rücken zugewandt, weil ich ihnen zum ersten Mal die finanziellen Mittel gekürzt hatte; die Notare haben gegen mich rebelliert; als ich mich für eine Reform des Stromversorgers EDF ausgesprochen habe, wurde ich in einem Kraftwerk mit ›Macron raus!‹ und ›Hängt ihn auf!‹ empfangen«) – dieses Interview lässt unweigerlich an Jacques Chirac denken, der 1995 Édouard Balladur, seinen innerparteilichen Rivalen um die Präsidentschaftskandidatur, mit aller Macht ausschalten wollte und seinen perplexen Anhängern versprach: »Ihr werdet euch über meine demagogischen Fähigkeiten noch wundern.«
Auch bedarf es einer gehörigen Portion Chuzpe oder Zynismus, um kurz darauf zur Beruhigung der Gemüter die berühmten Worte von General de Gaulle zu zitieren, die dieser am 4. Juni 1958 bei einer Rede in Algier geäußert hatte: »Ich habe euch verstanden.« Dieser Satz ist an Mehrdeutigkeit kaum zu überbieten. Jeder kann sich darin wiederfinden und die eigenen Erwartungen darauf projizieren. In dieser Hinsicht passt
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